Nepal, Annapurna Circuit - Etappe 3: Dharapani
- Kim
- 19. Okt. 2021
- 6 Min. Lesezeit
Nepal, Annapurna Circuit - Etappe 3
von Jagat nach Dharapani
➙ 15,4km ➚ 743hm ➘ 237m
Heute Nacht haben wir zum ersten Mal wieder in unseren Schlafsäcken geschlafen. Da unser Zimmer diesmal weitestgehend geschlossen ist, konnten wir, ohne die Sorge von Riesenspinnen überfallen zu werden, beruhigt ein- und durchschlafen. Als wir wach werden ist es wieder oder eher immer noch am regnen. Laut Wettervorhersage steht uns heute nochmal ein nasser Tag bevor, dann soll es besser werden. Zum Frühstück gönnen wir uns heute ein tibetanisches Brot mit Honig und ein mit Zwiebeln gebratenes Omelette. Dazu wie immer ein Masala Tee. Das üppige Frühstück liegt uns noch etwas im Magen, sodass wir uns beim Packen heute etwas mehr Zeit nehmen.


Gegen halb neun brechen wir auf. Heute geht es den ganzen Tag über die Jeeppiste, da der diesjährige Monsun den Wanderweg im Sommer größtenteils weggespült haben soll. Wir laufen an riesigen Wasserfällen vorbei. Es ist unglaublich mit welcher Kraft die Wassermassen den Hang hinunter rauschen.


Es schüttet wie aus Eimern und wir sind froh unsere Schirme dabei zu haben. Ab jetzt ein Must Have auf unserer Packliste! Nach etwa drei Kilometern müssen wir einen kleinen Wasserfall queren. Ein Porter überholt uns und springt in seinen Flipflops leichtfertig an der Klippe von Stein zu Stein. Mist, wir haben die Wasserschuhe nicht dabei, um Gewicht zu sparen. Ich möchte weder an der Klippe entlang, noch barfuß durch den Bachlauf hindurch, also beiße ich die Zähne zusammen und gehe mit meinen Wanderschuhen einfach hindurch. Ich versuche so weit möglich auf Zehenspitzen zu laufen, stütze mich mit meinen Trekkingstöcken ab und erwische den ein oder anderen höher liegenden Stein. Dennoch ist das Wasser zu tief, sodass mir das Wasser stellenweise in die Schuhe hineinschwappt. Na klasse. Wenn das Wetter nicht bald besser wird werden meine Wanderstiefel nie mehr trocken…

Mit der Zeit lässt der Regen zum Glück etwas nach, sodass wir die Schirme wieder einpacken können. Wir folgen der Piste den Hang entlang und haben ganz schön Respekt vor dem Fluss innerhalb der Schlucht. Gut, dass wir nicht dem Wanderweg folgen. Der sieht von hier aus garnicht gut aus - permanentes Auf und Ab am Steilhang entlang. Plötzlich gibt es einen lauten Schlag. Scheiße! Meine Kamera ist auf den Boden gestürzt. Damit ich sie schnell zur Hand habe, hab ich sie an einem Clip am Hüftgurt befestigt. Mir kommen direkt die Tränen. Mein liebster Gegenstand auf dieser Reise. Ich traue mich garnicht hinzusehen. Glücklicherweise ist das Objektiv noch in Ordnung, aber das Gehäuse im Bereich der Stativhalterung ist gebrochen. Wie kann denn bitte sowas passieren? Ich bin ja nicht irgendwo hängen geblieben, sondern einfach nur gelaufen! Oh man. Das kann doch echt nicht wahr sein. Wir machen ein Probefoto. Okay, sie funktioniert immerhin noch. Wir verstauen sie in der Kameratasche und packen sie für den Rest des Tages in den Rucksack. Ich hoffe wir können sie heute Abend einigermaßen flicken.


Nach dem Schock wird es Zeit für eine Pause. Da die Piste so einfach zu gehen ist, sind wir ganz schön schnell unterwegs. Zwei Stunden für acht Kilometer. Nach kurzer Zeit kommen wir an einer kleinen Hütte vorbei, wo wir einen Tee trinken, einen Schokoriegel essen und die Landkarte nochmal checken. Gegenüber von uns sitzen zwei andere Trekker aus Polen, die sich erstmal ein Bier für jeweils 650 Rupien (umgerechnet 4,60€) gönnen. Abgesehen vom Preis wäre das das letzte worauf ich jetzt Lust hätte.
Kurz nachdem wir wieder aufbrechen kommen wir am ersten Kontrollpunkt vorbei. Ein Polizist checkt unsere Permits und trägt unsere Daten in eine Tabelle ein. Wir sind die siebte und achte Person die heute hier vorbeikommt. Ich möchte mir garnicht ausmalen wie viel hier vor Corona los war. Die Chance so allein im Himalaya zu wandern gibt es sicherlich nicht oft!

Wir wandern ein Stück weiter und sehen jetzt das gesamte Ausmaß des Monsuns. Der Wanderweg gegenüber ist stellenweise nicht mehr vorhanden und vom Fluss weggespült. Das Dorf Tal sieht von oben ziemlich wüst aus. Viele Häuser sind zerstört, überall liegt Schutt. Einige Strommasten stehen nur noch auf Halbmast. Gut, dass wir auf der Jeeppiste sind. Ich hoffe wir kommen die nächsten Tage gut durch. Auf den nächsten Etappen sollen auch immer mal wieder Abschnitte des Wanderwegs oder sogar der Jeeppiste zerstört worden sein, sodass man je nachdem wechseln muss. Durch die Facebook Gruppe haben wir vorab schon einige Infos, werden uns aber auch immer bei den Locals vor Ort erkundigen welcher Weg begehbar ist.


Nach zwölf Kilometern machen wir gegen zwei Uhr endlich Mittag. Da wir so fix unterwegs sind, sind wir jetzt doch etwas geschafft und vorallem hungrig. Die Speisekarte ist wieder größer als erwartet und wir entscheiden uns für Bratkartoffeln mit Gemüse. Wir haben uns schon so daran gewöhnt kein Fleisch mehr zu essen, dass wir schon automatisch nur noch nach den vegetarischen Gerichten schauen. Auch hier ist die Auswahl groß, da Fleisch hier rar ist und hier oben nur schlecht gekühlt werden kann.

Motiviert gehen wir weiter. Nur noch 5 Kilometer bis zu unserem Ziel. Ich packe meine Kopfhörer aus, Endspurt.

Wir gehen um die Kurve und blicken auf drei riesige Wasserfälle, die die Jeeproute hinabstürzen. Ach du scheiße.

Zwei Jeeps überholen uns und wir schauen uns das Spektakel skeptisch an. Auch aus der anderen Richtung kommt ein Jeep auf uns zu bis wir es endlich wagen können. Unser Schuhe laufen schon auf den ersten Metern voll mit Wasser, aber das war uns klar. Die Wasserfälle sind so laut, dass wir uns nicht mehr verständigen können. Teilweise ist die Strömung heftig, der Wind und die Menge des Wassers schüchtern uns ein. Ein großer Schritt über den heftigsten Strom und geschafft. Oh man. Wenn das jetzt noch häufiger kommt, dann aber gute Nacht… Ist das normal? Ich denke nicht.

Nach der nächsten Kurve blicken wir auf vier Jeeps die hintereinander stehen. Es steigen Leute aus, die ihre Rucksäcke aufsetzen. Ich ahne schlimmes. Unsere letzte Info, von vor zwei Tagen, war, dass man normal noch mindestens bis Dharapani fahren kann. Wir waren darauf eingestellt heute auf intakter Jeeppiste dorthin zu laufen. Das war die letzte Info. Wir gehen über eine kleine Kuppe und blicken auf einen Erdrutsch. Hier kommt kein Jeep mehr durch. Ist das neu? Wann ist das wohl passiert? Wir waten durch das strömende Wasser. Auch hier ist die Querung aufgrund der schieren Kraft des Wassers und des Abgrunds neben uns unangenehm. Der Wind pfeift. Nur noch ein großer Schritt dann sind wir wieder auf der trockenen Piste. Unvorstellbar, dass man hier mal herfahren konnte.

An einer kleinen Hütte ziehen wir unsere Schuhe, in denen das Wasser jetzt richtig steht, kurz aus. Wir wringen unsere Socken und die Sohle aus. Ist das eklig. Es schwappt immer noch bei jedem Schritt, aber es ist zumindest minimal besser.


An der nächsten Ecke wartet schon die nächste Scheiße auf uns. Sorry für die Wortwahl, aber anders kann man’s einfach nicht sagen. Die Jeeppiste ist komplett weggespült. Das ist unser einziger Weg, da auch der Wanderweg auf der anderen Talseite komplett zerstört ist.

Wir fragen die Bewohner von wann der Erdrutsch ist. Letzte Nacht! Wow. Uns war bewusst, dass es während des Monsuns Erdrutsche gab, das war aber vor einigen Monaten. Wir schauen uns die Stelle etwas näher an. Man kommt da bestimmt irgendwie rüber, aber nicht sicher. Ich möchte das nicht, zumindest nicht jetzt. Ich bin erschöpft vom Tag und es verunsichert mich, dass schon der Regen der letzten Tage so etwas verursacht. Gestern war die Straße wohl noch in Ordnung und etliche Jeeps sind hierher gefahren. Wir gehen ein Stück zurück und beobachten die anderen, die vorhin aus dem Jeep steigen mussten. Sie verharren auch einige Zeit vor dem Erdrutsch, gehen aber schließlich rüber. Wir fangen ein paar Wanderer ab, die aus der anderen Richtung entgegen kommen. Es ist nicht der einzige neue Bergrutsch. Jede halbe Stunde bis Stunde müssen ähnliche unbefestigte Geröllfelder am Hang gequert werden.
„Be careful, stones are falling!“
Angesichts dessen, dass die ganze Zeit kleine Steine vom Hang hinab kullern, entscheiden wir uns in der letzten Hütte einzukehren. Ich setze mich erschöpft aufs Bett und mir kommen die Tränen. Wieso haben wir so ein Pech? Schon in Georgien mussten wir ein Drittel unserer Touren wegen dem ungewöhnlichen Wetter für diese Jahreszeit streichen. Was ist denn los dieses Jahr? Ich weiß es nicht. Mir ist einfach nur zum Weinen zumute. Erst die Geschichte mit dem Geldautomaten, die Schwierigkeiten in Kathmandu, meine kaputte Kamera, jetzt unerwartete Bergrutsche. Und wir mitten drin.
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