Georgien, Ushguli - Sonnenaufgang am Gorvashi Pass
- Kim
- 20. Sept. 2021
- 5 Min. Lesezeit
Georgien - Sonnenaufgang am Gorvashi Pass
von Ushguli zum Gorvashi Pass
➙ 6,8km ➚ 585hm ➘ 585m
Unser Wecker klingelt um sieben. Ich merke den Wein von gestern Abend etwas und fühle mich nicht ganz ausgeschlafen. Wir checken den Wetterbericht. Hier ist zwar an zwei Tagen unserer Tour Regen vorhergesagt, aber in relativ normaler Menge. Wir suchen nach einem Ort auf der anderen Seite des Passes, den wir in den nächsten Tagen queren wollen. Freitag: 65l am Vormittag. Laut deutschem Wetterdienst ist eine Regenmenge von bereits 35l innerhalb von sechs Stunden als Unwetterwarnung einzustufen. Da unsere Route über 3000m führt sehen wir schwarz. Wenn die Menge morgens auf dem Pass als Regen herunterkommen würde, wären wir wahrscheinlich eingeschneit. Erstmal einen Kaffee, Frühstück und in Ruhe nachdenken, was wir jetzt machen.
Nach einigem Hin und Her entscheiden wir uns dafür, unsere zwei Übernachtungen auf dem Weingut am Ende unserer eigentlichen Tour zu stornieren. Schade. Wir hatten uns so drauf gefreut. Aber das Wetter sollte man grade bei abgelegenen Trails fernab der Zivilisation nicht unterschätzen. Wir stöbern im Internet nach kleineren Touren und werden relativ schnell fündig. Von Ushguli aus können wir heute zum Gorvashi Pass hinaufsteigen. Das Wetter soll sich gegen Abend aufklären und am nächsten Morgen ist strahlender Sonnenschein gemeldet. Perfekt! Vielleicht können wir ja mal einen Blick auf den höchsten Berg Georgiens erhaschen. Die letzten Tage blieben uns durch den Nebel und die Wolken ja leider die meisten Aussichten verwehrt.
Durch die ganze Umplanerei brechen wir heute erst gegen elf Uhr auf. Unnötiges Gepäck können wir bis morgen im Guesthouse lassen, sodass wir etwas leichter unterwegs sind. Wir wandern am Fluss entlang und passieren ein kleines Privatgrundstück, was eine Durchgangsmaut von zwei Lari pro Person verlangt. Ok.

Kurze Zeit später geht es links das Tal hinauf. Das Gelände steigt zunächst nur mäßig an, dennoch sind wir schnell außer Atem und legen viele kleine Pausen ein. Wir begegnen zwei Israelis, die grade vom Sommerturm des Königs, einem typisch georgischen, freistehenden Turm auf einem Berg, absteigen. Vielleicht machen wir auf dem Rückweg auch noch einen Abstecher.

Die Aussichten werden von Schritt zu Schritt atemberaubender, die Berge gigantischer. Wir wandern durch hüfthohe Rhododendronbüsche, bis wir eine Hochebene auf etwa 2600m erreichen. Eigentlich wollten wir heute noch höher zum Pass hinaufsteigen, aber die Aussicht und die Zeltstelle sind so perfekt, dass wir entscheiden hier Mittag zu essen und dann zu schauen, ob wir noch weitergehen.


Nach wenigen Minuten, noch bevor wir zum Essen kommen, fängt es stark zu regnen an. Wir schauen uns an, sind uns ohne Worte einig, ziehen uns schnell unsere Regenjacken über und bauen das Zelt auf. Es schüttet wie aus Eimern und wir sind froh im Trockenen zu sitzen.

Den Nachmittag über kuscheln wir uns in unsere Schlafsäcke, lauschen den Regentropfen auf dem Zelt und hören ein Hörbuch. Es ist so schön wieder draußen im Zelt zu sein. Der Nachmittag vergeht wie im Flug. Regen und Sonne wechseln sich ab, sodass wir ab und an durch unser Vorzelt in die Berge schauen können.


Wir sind so in unser Hörbuch vertieft, dass wir fast den Sonnenuntergang verpassen, wegen welchem wir überhaupt erst aufgestiegen sind. Schnell schnappen wir uns die Kamera und halten das Spektakel als Zeitraffer fest. Dabei essen wir zu Abend, heute gibt es Instant Hühnernudelterrine. Eins meiner Lieblingsgerichte. Bis es dunkel wird schauen wir noch eine Serie. Wir ziehen uns dick an, da wir die Sterne fotografieren wollen. Unglaublich, man sieht zum ersten Mal den gesamten Schchara. Er ist mit 5201m der höchste Berg Georgiens, sowie der dritthöchste Berg des Großen Kaukasus. Für diese Aussicht hat sich der Aufstieg und verregnete Nachmittag allemal gelohnt!

Wir werden noch vor unserem Wecker wach und stellen fest wie gut wir diese Nacht geschlafen haben. Kurz bevor wir uns anziehen wollen schauen wir auf die Uhr. Es ist erst zwei Uhr nachts! Der Mond scheint so hell, dass wir tatsächlich kurz geglaubt haben, dass es schon morgens ist. Alles klar, also nochmal einkuscheln und weiterschlafen. Die letzten Nächte waren Bären die Hauptdarsteller meiner Träume, diese Nacht sind es passend zum Vollmond Wölfe. Unglaublich, wie viel wir hier draußen im Vergleich zum Alltag träumen.
Zweiter Versuch. Wir werden pünktlich zum Sonnenaufgang wach. Ich öffne die Zelttür und blicke auf den Schchara. Was ein Anblick. Ich schlüpfe in meine eiskalten Wanderschuhe und krabbel aus dem Zelt. Der Boden ist komplett mit Frost bedeckt, meine Regenjacke ebenfalls gefroren und hart wie ein Brett.



Schnell ein paar Fotos schießen und wieder ab in den warmen Schlafsack um zu Frühstücken. Wir warten noch ab, bis die Sonne unser Zelt endlich erreicht. Da wir heute nur zurück nach Ushguli wandern haben, wir keinen Zeitdruck.


Wir brechen gegen zehn auf und steigen ins Tal hinab. Das Wetter bleibt stabil und in der Sonne ist es so warm, dass wir uns noch wenigen Metern die Jacken ausziehen.

Die Aussichten sind spektakulär und die Perspektive ändert sich mit jedem Schritt, sodass wir alle paar Meter die Kamera rausholen. Nach den ganzen verregneten Tagen macht es richtig Spaß mal wieder zu fotografieren.



Gegen Mittag kommen wir schon wieder im Dorf an und holen unser restliches Gepäck, vor allem Verpflegung für die nächsten Tage, im Guesthouse ab. Die Hausherrin bietet uns an hier zu Mittag zu essen, reicht uns Kuchen und Kaffee. Wie gastfreundlich, obwohl wir nur kurz unser Gepäck abholen wollten. Sie organisiert uns außerdem die Fahrt zurück nach Mestia. Wir laufen zur Brücke, wo der Fahrer des Jeeps bereits auf uns wartet. Die Fahrt kostet insgesamt zweihundert Lari, sodass wir noch etwa eine Stunde auf zwei weitere Mitfahrer warten, um uns die Kosten zu teilen.
Als wir komplett sind steigen wir ein und versuchen uns anzuschnallen. Geht nicht. War ja klar. Na klasse, das kann ja was werden 1,5 Stunden über unbefestigte Bergpässe. Ich halte mich am Griff der Autotür fest und los gehts. Die Straße ist vom Regen der letzten Tage von tiefen Schlaglöchern, riesige Pfützen und etlichen Spurrillen durchsetzt. Ich frage mich, wie die kleinen Minibusse diese Strecke meistern und bin froh, dass wir in einem Geländewagen sitzen. Wir queren kleinere Flüsse, Wasserfälle und fahren teilweise so schnell durch die Kurven am Steilhang entlang, dass mir fast übel wird. Der Fahrer ist stellenweise mehr mit seinem Handy und YouTube beschäftigt, als mit dem Streckenverlauf. Ich bin froh, als wir endlich in Mestia ankommen. Wir steigen aus und bezahlen anstelle der vereinbarten fünfzig Lari pro Person nur vierzig. Ich denke unsere zwei russischen Mitfahrer haben den Gesamtpreis nochmal gedrückt. Wir kramen in unseren Geldbörsen herum und bekommen es nach langem Suchen doch noch passend hin. Wir queren die Straßenseite und kehren bei unserem Lieblingscafé ein. Von weitem sehen wir, wie unser Fahrer vor der offenen Motorhaube steht, weil der Jeep nicht mehr anspringt. Glück gehabt, für die Fahrt hierher hat’s grade noch gereicht!
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