Georgien, Stepantsminda - Eine stürmische Nacht am Kazbegi
- Martin
- 27. Sept. 2021
- 6 Min. Lesezeit
Georgien - Eine stürmische Nacht am Kazbegi
von Stepanzminda zur Gergetier Dreifaltigkeitskirche
➙ 12,0km ➚ 687hm ➘ 687m
Um sechs Uhr geht der Wecker, viel packen müssen wir heute zum Glück nicht mehr. Etwas müde laufen wir zur Rezeption im benachbarten Gebäude, checken aus und geben unser „Stadtgepäck“ zur Verwahrung ab. Eine Taxi-App hilft uns einen Transport nach Didube zu organisieren. Es werden die Dauer bis zum Eintreffen des Fahrzeugs, Name des Fahrers, Kennzeichen und Preis im Voraus angezeigt. Echt super! Ob es sowas wohl auch in Deutschland gibt?
Didube ist ein Dreh- und Angelpunkt hier in Tiflis. Am Bahnhof und Busbahnhof geht es zu wie auf einem Basar. Dichtes Gedränge und laut rufende Fahrer inmitten eines hektischen Marktes. Was hier wohl zur Hochsaison los ist? Das Taxi kommt gegen halb acht an und hält genau vor der Marschrutka nach Kazbegi. Es sitzen noch keine weiteren Passagiere im Fahrzeug. Die Maschrutki fahren nicht zu bestimmten Uhrzeiten los, sondern wenn sie voll sind. Deshalb sind wir auch schon eine halbe Stunde eher hier. Zwei weiter Mitfahrer kommen um zehn vor acht, dann passiert erst mal nichts. Erst ungefähr eine Stunde später füllt sich das Fahrzeug und wir fahren gegen neun los. Hätten wir auch noch länger schlafen können.


Die Fahrt entlang der georgischen Heerstraße ist recht angenehm. Die Straße ist gut ausgebaut und es herrscht wenig Verkehr, sodass es nur selten zu waghalsigen Überholmanövern kommt. Auf dem rechten Standstreifen stehen hunderte von LKW. Ich denke, dass sie in Richtung Russland unterwegs sind und es an der Grenze zu langen Staus kommt. Wir legen einen kurzen Stopp an einer Kirche ein und schauen uns ein wenig die Marktstände an. Als wir zurück zum Parkplatz gehen sehen wir, dass unsere Marschrutka weg ist. Scheiße, ist der jetzt tatsächlich mit unseren Rucksäcken weggefahren? Wir laufen über den Parkplatz und sehen weiter unten einen roten Transporter. Ist er das? Das Fahrzeug fängt plötzlich heftig zu qualmen und zu quietschen an. Dann sehen wir, dass unser Fahrer versucht ein anderes Auto abzuschleppen. War wohl ein bisschen zu schwer, aber er hat es grade so geschafft. Als er wieder zu uns fährt und wir einsteigen riecht es extrem nach verbrannter Kupplung. Ob wir es noch über den Pass schaffen.



Die Straße schlängelt sich den Pass hinauf und wir müssen jetzt öfter langsamere LKW überholen. Augen zu und durch! Am höchsten Punkt legen wir erneut einen Stopp ein. Hier gibt es wieder einen kleinen Markt, Paraglidingflüge und eine Aussichtsplattform. Wieder im Auto geht es jetzt den Pass hinunter. Jetzt, wo es wieder einen Standstreifen gibt, stehen wieder etliche LKW am Straßenrand. Geschätzt waren es über eintausend Stück. Wie lange es wohl dauert bis sie an ihr Ziel kommen?

Endlich sind wir da. Wir laufen ein gutes Stück den Hang hinauf zu unserer Unterkunft für morgen. Wir möchten etwas Gepäck hier lassen, da wir nur die Verpflegung für die nächsten drei Tage benötigen. Am Guesthouse machen wir uns noch etwas zu Essen und starten unsere Tour gegen ein Uhr. Da wir heute noch viel Zeit haben trinken wir auf dem Weg noch eine Cola. Jetzt kann es endlich richtig los gehen. Wir steigen durch ein kleines Dorf den Berg hinauf, bis wir eine größere Straße queren. Ab hier ist der Weg gut ausgebaut und deutlich markiert. Man merkt, dass diese Stecke normalerweise von sehr vielen Leuten begangen wird.


Oben angekommen können wir den ersten Blick auf die Dreifaltigkeits Kirche werfen. Das Fotomotiv Georgiens. Der Anblick dauert genau zwanzig Sekunden und die Kirche verschwindet in einer dichten Nebelwand. Na toll, aber wir sind ja noch zwei weitere Tage hier oben. Da wird sie sich wohl noch mal zeigen.
Die Kirche liegt nicht direkt auf unserem Weg, aber wir machen trotzdem einen kurzen Abstecher, um unsere Wasserreserven aufzufüllen. Vielleicht klärt sich das Wetter ja bis dahin wieder auf. Wir sitzen eine Stunde vor der Kirche und warten. Aber es tut sich nichts. Also beschließen wir unseren Weg fortzusetzen. Es liegen noch etwa hundert Höhenmeter vor uns. Die Sicht beschränkt sich mittlerweile auf ungefähr zwanzig Meter. Wir steigen den grasbewachsen Hang hinauf und schlagen unser Zelt an einer halbwegs geeigneten Stelle auf. Als es steht kommt ein Wanderer aus Richtung des Gletschers und empfiehlt uns weiter im Tal zu Campen da es hier oben nachts wohl ziemlich windig werden kann. Ach was, das kann ja schon nicht so schlimm werden. Es ist absolut windstill! Wir bleiben an Ort und Stelle und verkriechen uns schon früh in unseren Schlafsäcken.
Gegen Mitternacht werden wir wach. „Tier! Haaalloooo?“ Etwas schleicht um unser Zelt herum. Als ich mich lautstark melde hören wir kurz eine Art Grunzen. Dann ist es still. Ich schaue aus dem Zelt, aber der Nebel hat sich noch nicht verzogen und man kann keine fünf Meter weit schauen. Ich bleibe wach im Zelt liegen. Immer mal wieder wage ich einen Blick nach draußen. Laut Wetterbericht soll es sich nachts aufklären. Pünktlich um eins verschwindet der Nebel, ich stelle mich neben unser Zelt und schwenke mit meiner Stirnlampe umher. Eine gelbe Reflexion. Ein Auge. Mehr kann ich nicht sehen. Ich leuchte weiter auf das ca. 50 Meter von uns entfernte Etwas. Vielleicht lässt sich ja erkennen was es ist. Irgendwann ist es wohl von der grellen Lampe gestört und fängt an zu wiehern. Puh, nur ein Pferd. Aber der nächste Schreck lässt nicht lange auf sich warten. Ein immer stärker wehender Wind zieht auf. Ich befestige drei weitere Leinen am Zelt um es etwas besser abzuspannen. Aber das bringt nicht viel. Der Wind drückt seitlich so stark gegen das Zelt, dass die Stangen verrutschen und die Zeltwand auf uns gedrückt wird. Wir beobachten die Situation und sehen, dass die Hauptstange der Zeltkonstruktion ganz schön verbogen wird. Das hält so nicht lange! Wir stützen die eingedrückte Wand abwechselt mit unseren Händen und Köpfen ab. Irgendwann entschließe ich mich dazu die Nachtschicht auf mich zu nehmen und verkrieche mich sitzend im Schlafsack, stütze die obere Zeltstange mit meine Kopf ab und zocke ein wenig am Handy, um mir die Zeit zu vertreiben. Sind ja nur noch fünf Stunden bis zum Sonnenaufgang. Kurz vor Sonnenaufgang lässt der Wind etwas nach und ich schaffe es noch ungefähr eine Stunde zu schlafen. Um sechs werde ich plötzlich von einer Windböe geweckt. Blitzschnell sitze ich aufrecht im Zelt und spiele weiter menschliche Stütze.
Die 45 Minuten bis zum Sonnenaufgang bekomme ich jetzt auch noch irgendwie rum. Als der Wecker geht sammeln wir uns kurz und besprechen das weitere Vorgehen. Frühstück und Kaffee sind definitiv hier oben nicht drin. Also umziehen, Zelt abbauen, Rucksäcke packen und hinunter zum nächsten Plateau absteigen. Das Zelt bauen wir heute zu zweit ab damit ja nichts wegfliegt. Scheiße ist das kalt. Die Zeltstangen und die Heringe kühlen die Hände selbst durch meine Handschuhe ab. Als wir alles zusammen haben machen wir uns auf den Weg. Das ein oder andere Foto muss aber noch drin sein. Mit Eisfingern drücken wir schnell auf den Auslöser und brüllen uns gegenseitig im lauten Wind an, um wenigstens annähernd miteinander kommunizieren zu können.



Am windstillen Waldrand angekommen machen wir erst mal Halt. Die Stimmung ist im Keller. Wir holen das Zähneputzen nach, was heute Morgen im eisigen Wind nicht möglich war. Zum Glück haben wir es nicht allzu weit bis ins Dorf. Wir folgen dem einfachen Weg durch den Birkenwald und die jetzt rauskommende Sonne wärmt uns endlich auf. In Gergeti, einem kleinen Vorort von Kazbegi, kommen wir am ersten Café vorbei. Das muss jetzt sein! Wir nehmen draußen Platz und ein älterer Herr heißt uns willkommen. Wir fragten was es zum Frühstück gibt: Beef Soup, Khachapuri, Ajapsandali, Beer, Wine, Chacha. Ok. Also eher was herzhaftes. Wir entscheiden uns für die Suppe, das Ajapsandali, ein Gemüseeintopf, ein Khachapuri und zwei Kaffee. Etwas ungewohnt so früh solche Mahlzeiten zu sich zu nehmen aber es wärmt. Und was noch viel mehr wärmt ist ein Chacha am Morgen. Als ich bezahle begegne ich der georgischen Gastfreundlichkeit und der Herr füllt unsere Schnappsgläser ein weiteres Mal auf. Prost auf diese schlaflose Nacht!


Leicht angeheitert und etwas drüber von der anstrengenden Nacht kommen wir an unserem Guesthouse an. Wir müssen noch etwas warten bis das Zimmer fertig ist und nehmen auf der Terrasse platz. Wir sind so müde, dass uns sofort die Augen zufallen. Die Gastgeberin kommt raus und gibt Bescheid, dass wir unser Zimmer beziehen können. Wir legen uns auf Bett und schlafen direkt ein.


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